Oft werde ich gefragt, was ich denn bei meinen langen Läufen denke, wenn ich alleine unterwegs bin.
Eine Frage, die mich Schmunzeln lässt. Vor
allem dann, wenn ich an meine ersten Lauftrainings zurückdenke. Dort drehten
sich meine Gedanken vor allem um eines – dem Überleben meiner Trainingseinheit.
Etwas anderes als das Gefühl schwerer Beine, tiefer Atmung und der Stolz über
jeden zurückgelegten Meter war so dominant, dass daneben nicht mehr viel Platz
hatte. Zum Glück hat sich das geändert. Für immer? Nein! Auch heute noch haben
diese Gefühle und die dazu gehörenden Gedanken ihren Platz. Dann, wenn Tempotraining
angesagt ist. Wenn nur das totale Fokussieren auf die Strecke, den Körper und
die Zeit zählt. Hört sich unentspannt an, oder? Ist es auch. Aber das Gefühl
wenn es Dir gelungen ist dem Tartanrund oder einem Asphaltkilometer auch nur eine Sekunde abzuringen ist einfach
phantastisch.
Aber eigentlich war die Ausgangsfrage, was
ich bei meinen Longjoggs denke. Ich versuche diese Frage zu beantworten, obwohl
es nicht gerade einfach ist. Ich könnte antworten Vieles, Verschiedenes oder
Nichts. Tatsächlich können mich diese drei Antworten einzeln einen ganzen Lauf
begleiten, oder sich innerhalb eines Laufes abwechseln.
Als Beispiel mein heutiger Longjogg in der
Greifenseeregion. Zu Beginn hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: „Nicht zu
schnell los! Lauf Dich ein, Du hast noch genügend Strecke vor Dir!“. Am Himmel
zogen dicke schwarze Wolken auf. Aber nur auf einer Seite des Sees. Der Wind
wehte von vorn und ich beobachtete den Wolkenstrom. Ich musste mir also
überlegen, in welche Richtung ich strategisch am besten laufe um möglichst
wenig Regen abzubekommen. Und im Nu waren die ersten 15 Minuten um. Vorab sei
gesagt, dass ich gut kalkuliert habe und nur etwas „angefeuchtet“ wurde.
Bei so langen Einheiten laufe ich meistens
mit Musik. „Nur“ Denken und den Geräuschen der Umwelt zuzuhören wäre mental
sehr anspruchsvoll für mich. Ich kann mich deutlich besser mit Musik im Ohr bei
Longjoggs motivieren. Dies gilt natürlich nur dann, wenn ich alleine unterwegs
bin. In einer Gruppe wären Kopfhörer wohl eher fehl am Platz.
Mitunter führt die Musik im Ohr zu
amüsanten Situationen. So auch heute. Auf halber Strecke kam mir ein Pulk
Nordicwalkerinnen entgegen, die mich sehr erstaunt anschauten. Erst konnte ich
die Blicke nicht einordnen, doch relativ rasch realisierte ich warum ich die
Aufmerksamkeit auf mich zog. Ich liebe Musik, und wenn ich einen Titel sehr
gerne mag, dann höre ich ihn mir auch mehrmals hintereinander an. Heute war es
„S.O.B.“ von Nathaniel Rateliff. Etwa bei der dritten Wiederholung habe ich
wohl mitgesungen. Laut. Hörbar laut. Auch für die erwähnten Walkerinnen. Oh
mein Gott. Ein kurzer Kontrollblick, ob mich auch niemand erkannt hat. Kein
bekanntes Gesicht. Erleichterung. Und schon ist Kilometer 18 absolviert.
Mein Glück heute war, dass Frühling ist.
Ich mag lange Läufe im Frühling und im Herbst. Der Grund dafür ist relativ
einfach. Im Frühling und Herbst verändert sich die Natur fast täglich. Ich
könnte an sieben Tagen in der Woche die gleiche Strecke laufen, und sie würde
jeden Tag anders aussehen. Ich liebe visuelle Reize. Der Sommer dagegen ist
dagegen fast schon langweilig.
Ich muss aufs Klo. Kilometer 20. Soll ich
oder soll ich nicht. Anhalten oder Durchlaufen. Nur noch knapp ein Stündchen
bis zum Ende des Laufes. Das passt doch, oder? Kilometer 21. Nein, es stört
mich nur an die Toilette denken zu müssen. Meine Laufschritte werden unrund.
Umgebung nach ausreichend Schutz abgesucht. Pulsuhr gestoppt, und ab ins
Büschchen zur Pinkelpause. Ja, wir LäuferInnen müssen manchmal improvisieren. Und weiter geht’s.
Gartenarbeit. Ja, ich dachte heute auch an
Gartenarbeit. Rasenmähen wollte ich, und düngen. In den kommenden 10 Minuten
rekapitulierte ich die in den vergangenen Jahren angewendeten Düngemethoden und
deren Ergebnisse. Auch die Nachteile einer Rasendüngung gingen mir durch den
Kopf. Frühlingsdüngung. Warme Temperaturen und feuchte Witterung. Der Dünger
entfaltet seine Wirkung. Das Gras wächst gefühlt mindestens einen Meter hoch.
Die Witterung immer noch feucht. Der Rasen auch. Schon mal Rasen gemäht wenn
dieser nass und hoch ist?
Die Pulsuhr piepst. Habe soeben Kilometer
26 absolviert. Ich muss vor mich hin schmunzeln. Mir ist soeben meine Belohnung
in den Sinn gekommen, die im Auto auf mich wartet. Belohnung? Ja, richtig
verstanden. Eine Belohnung. Ich habe mir mit den Jahren angewöhnt mich nach dem
Training zu belohnen. Fordere Deinen Körper und Geist, verwöhne sie aber auch
ab und an. Bei jeder Einheit? Nein, natürlich nicht. Nur nach langen Läufen und
harten Tempoeinheiten kommt eine Belohnung zum Einsatz. Und heute ist es eine
meiner „Lieblingsbelohnungen“. Etwas nach dem ich nach einem Longjogg oftmals
so eine Gier entwickle, dass es mich fast ein bisschen ärgerlich macht, wenn
ich es nicht bekomme. Und heute wartet sie bereits im Auto auf mich. Nicht erst
zu Hause. Die Flasche. Mit dem gelben Inhalt. FANTA. Vorfreude.
Unterwegs begegne ich LäuferInnen in
verschiedenen Lauftempi, mit verschiedenen Laufstilen und unterschiedlichen
Altersklassen. Ich denke an den bevorstehenden Zürichmarathon. Warum? Jedes
Jahr im Februar und März scheint die Zahl der „Greifenseeumrundenden“
explosionsartig zuzunehmen, nur um Mitte April wieder abzuflachen. Schade
eigentlich. Meine Gedanken schweifen ab an meine Marathonerlebnisse. Kilometer
30.
In etwas weniger als 20 Minuten am
Parkplatz angelangt. Ich bin nicht ganz unglücklich. Freue mich auf das Ende
der Trainingseinheit. Habe Hunger. Unterwegs lediglich 3 Gels zu mir genommen.
Kein Frühstück. Magen knurrt. Denke an das Steak in der Tiefkühltruhe. Heute Abend.
Mit Salat.
Parkplatz ist in Sicht. Noch wenige hundert
Meter. Angekommen. Wow, schon geschafft, wobei man etwas mehr als 2 Stunden und
40 Minuten kaum als „schon“ bezeichnen kann. Aber so verschieben sich die
Relationen im Laufe des Läuferlebens. Zu Beginn scheint eine Strecke von 3
Kilometern schon unüberwindbar. Dann sind es plötzlich zehn. Dann der erste
Halbmarathon. Einen Marathon zu absolvieren wird das Ziel. Und langsam
verschieben sich die Grenzen. Und das Denken.
Mit zunehmender Ausdauer erscheint es mir
leichter zu Denken. Klingt komisch, wenn ich es so schreibe. Ist aber so. Die
Beine machen „ihren Job“. Es benötigt mit zunehmender Trainingserfahrung
weniger Aufwand sie „am Laufen zu halten“. Es bleibt mehr Energie und
Konzentration seinen Gedanken nachzuhängen.
Übrigens, das Projekt „Run4Refugees“
entstand ebenfalls bei dem einen oder anderen Lauf.
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